The Moonrise Thing / Blog


Ob bei Workshops, im Gespräch mit Galeriebesuchern, auf Messen, Märkten oder sonstigen Anlässen – früher oder später taucht es fast schon zwangsläufig auf: das Thema Bildnachbearbeitung, gerne auch in Gestalt von Photoshop. Und dann wird’s spannend – als hätte jemand endlich den sprichwörtlichen Elefanten im Raum angesprochen. Plötzlich wird diskutiert, analysiert, manchmal auch ein bisschen philosophiert – denn Bildbearbeitung ist offenbar nicht nur ein Werkzeug, sondern ein echtes Gesprächsthema mit Zündstoffpotenzial.

Die Frage nach der Nachbearbeitung einer Fotografie brennt vielen regelrecht unter den Nägeln.


Annual invasion of tourists | Kat. No.D1382

Nicht immer, aber doch regelmäßig im Laufe des Jahres begegnet man bei solchen Gesprächen auch Vertreter:innen der stolzen „OOC“-Fraktion (OOC - Out of Camera) – also jenen Fotograf:innen, deren Bilder direkt aus der Kamera kommen, ganz ohne den Hauch nachträglicher Bearbeitung. Quasi Natur pur, digital serviert – gewissermaßen digitale Rohkost.

Mitunter schwingt hier des öfteren die Überzeugung mit, dass die Beschränkung auf OOC zu einer irgendwie „ehrlicheren“ Fotografie führen würde - schliesslich müsse dann schon bei der Belichtung alles sitzen und man „verzichtet“ auf die spätere Möglichkeit durch Bildnachbearbeitugn zu „schummeln“. Betrachtet man das ganz analog, so entsprach das früher dem Verzicht die Filme selbst zu entwicklen und stattdessen die Arbeit einem Labor zu überlassen.

Auch wenn es mitunter versucht wird zu vermitteln - ich sehe das nicht als künsterlisches Statetment - OOC zu arbeiten, sondern eher als einen falsch verstandenen Verzicht auf weitere kreative Möglichkeiten um einem Bild, den eigenen Stempel aufzudrücken.

Diskussionen mit überzeugten OOC-Fans verlaufen im ersten Anlauf oft etwas... zäh.

Wer seine Fotos grundsätzlich nicht bearbeiten möchte, geht oft davon aus, dass die Kamera ein objektiver Zeuge ist – unbestechlich und treffsicher in ihrer Wahrnehmung, ganz so wie das eigene Auge. Das klingt zunächst plausibel, ist aber – sagen wir mal vorsichtig – ein sympathischer Irrtum. Denn Kameras sehen eben nicht „die Wahrheit“, sondern interpretieren sie auf ihre ganz eigene, technisch bedingte Weise. Und die entspricht nicht selten eher einem guten Vorschlag als einer endgültigen Aussage.

Selbst der gut gemeinte Hinweis, dass Bildnachbearbeitung keine neumodische Erfindung der Digitalfotografie ist, sondern schon in der Dunkelkammer gepflegt wurde, bringt meist nur höfliches Stirnrunzeln. In solchen Fällen hilft Reden wenig – Seeing is believing. Hat man die Möglichkeit, kann man mit einem direkten Vorher-Nachher-Vergleich oft viel überzeugender zeigen, wie viel kreatives Potenzial ohne Nachbearbeitung schlicht liegen bleibt.


Die Vorstellung, eine Fotografie sei allein durch das reine Können der Fotograf:in entstanden – ganz ohne jegliche Nachbearbeitung – wirkt auf den ersten Blick charmant. Schaut man jedoch genauer hin und bedenkt, was alles nach dem Drücken des Auslösers im Inneren der Kamera passiert, wird schnell klar: Ganz so pur und unbearbeitet, wie man es gern glauben möchte, ist das Bild dann doch nicht. Die Kamera selbst ist nämlich alles andere als untätig – sie rechnet, interpretiert, verbessert - zumindest die Digitalen.

„Out of Cam“ – das gab’s in der guten alten Analogfotografie eigentlich gar nicht. Schon die Wahl des Films war eine kreative Entscheidung mit klarer Richtung: warm, kühl, kontrastreich oder zart – der Look war praktisch mitgekauft. Wer dann noch mutig belichtete – also bewusst über oder unter dem, was der Belichtungsmesser empfahl – konnte das spätere Ergebnis erheblich beeinflussen. Und was im Sucher zu sehen war, hatte mit dem finalen Bild oft nur noch bedingt zu tun.

Richtig spannend wurde es dann erst in der Dunkelkammer. Hier begann – um Ansel Adams’ Gedanken aufzugreifen – die eigentliche Magie. Entwicklung, Abwedeln, Nachbelichten: Alles feinste Bildbearbeitung, nur eben analog. Dieser Weg steht übrigens auch heute noch allen offen, ob klassisch oder auf dem mittlerweile weit verbreiteten hybriden Pfad. Denn auch der analoge Film findet heutzutage gern seinen Weg in die digitale Nachbearbeitung.

Bevor ich mich jetzt allzu weit vom eigentlichen Thema und dem Titel dieses Beitrags entferne, komme ich noch einmal zurück auf Ansel Adams. Mit dem leicht augenzwinkernden „Moonrizse Thing“ spiele ich natürlich auf seine berühmte Fotografie Moonrise, Hernandez, New Mexico von 1941 an – ein Bild, das für mich vor langer Zeit irgendwann zu einem gedanklichen Schlüsselmoment wurde.

Empty place once filled with life | Kat. No.D3031

Ich erspare mir an dieser Stelle alle längst verdienten Lobeshymnen auf das Werk und seinen Schöpfer – was mich persönlich daran so fasziniert hat, war vielmehr die Erkenntnis: Eine Fotografie kann durch gezielte Bildnachbearbeitung enorm an Ausdruck, Tiefe und Intensität gewinnen.

Natürlich gilt dabei auch hier das alte Prinzip: Garbage in – garbage out. Wenn die Aufnahme selbst nichts taugt, hilft auch kein noch so kreativer Nachbearbeitungszauber. Doch wenn das Fundament stimmt, kann die Nachbearbeitung das Bild nicht nur veredeln, sondern ihm erst den Charakter verleihen, der es zu einer wirklich interessanten Fotografie macht.

Genauso wie man sich früher oder später mit den Grundlagen der Fototechnik herumschlagen muss – Belichtungszeit, Blende, ISO und dem geheimnisvollen Leben eines Belichtungsmessers – bleibt einem auch die Magie der digitalen Dunkelkammer nicht erspart. Denn so schnell man heute das Knipsen lernt, so langsam stellt sich das „fotografische Sehen“ ein. Das dauert... na ja, manchmal eben ein bisschen länger.

Wenn ich auf meinen eigenen Werdegang zurückblicke, waren es tatsächlich einige Jahre, bis der Funke so richtig übergesprungen ist. Richtig intensiv wurde es erst, als ich mich ganz und gar der Schwarzweiß-Fotografie verschrieben habe.

Und auch die Arbeit in der digitalen Dunkelkammer will – oder besser gesagt muss – geübt werden. Bis man die Regler, Schieberegler und Kontrollpunkte nicht nur so bewegt, wie es im Tutorial stand, sondern mit Intuition, vergeht eben doch ein wenig Zeit.

Gerade für diese Zeit – also das geduldige Üben, Experimentieren und Feintunen – wollen sich viele Fotograf:innen heute nicht mehr so recht erwärmen. Stattdessen wird fleißig ausgelöst, was das Zeug hält: klick, klick, klick... und noch ein Serienbild hinterher. Kein Wunder also, dass man bei dieser wahren Bilderflut irgendwann gar keine große Lust mehr verspürt, sich auch noch in aller Ruhe mit der digitalen Dunkelkammer zu beschäftigen.

Dabei ist das eigentlich ein Jammer. Denn – um Ansel Adams zu zitieren, der es schon zu Analogzeiten auf den Punkt brachte – rund 50 % der fotografischen Magie eines Bildes entsteht nach dem Auslösen. Und das gilt heute genauso, nur dass die Alchemie inzwischen in Programmen wie Lightroom Classic, Capture One, PhotoLab oder Photoshop stattfindet.

Wer dort nicht Hand anlegt, verschenkt die halbe Zaubershow!

Links:
Ansel Adams Most Famous Photograph: Moon Over Hernandez



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