„Gstett´n“ ein Begriff den man als Österreicher:In und insbesondere als Wiener:In sicherlich gut kennt und auch schon des öfteren selbst verwendet hat.
Bezeichnet werden damit Flächen einer Stadt, die eine zeitlang, manchmal auch sehr lange sich selbst überlassen worden waren. Meist sind sie verwildert und die Natur hat diese Flächen für sich zurückerobert. Auch wenn manche dieser Orte nur kurze Zeit der Natur zur Verfügung stehen, so sind sie wichtige Rückzugsorte für Pflanzen und auch Tiere - sozusagen ein wenig Wildnis in der Stadt.
Großstädte sind in der heutigen Zeit meist Betonwüsten, für Wildpflanzen und Wildtiere ist dazwischen oft kein Platz mehr. Doch sobald sich Flächen aus welchen Gründen auch immer der regelmässigen menschlichen Ordnungsliebe und Pflege entziehen, Gelände, Gebäude darauf verfallen oder Baulücken ungenutzt bleiben, kommt die Natur aus allen Richtungen zurück - dann entstehen Gstett´n. Relativ rasch ohne menschliches zutun, entwicklen sich dann solche Flächen zu natürlichlichen Lebensraum für Fauna und Flora - also irgendwie zu Natur aus zweiter Hand.
In der Kindheit meiner Generation waren Gstett´n und ähnliche Flächen oft Abteuerspielplätze. Draussen unterwegs zu sein war für uns Kinder eine völlig natürliche Angelegenheit, es gab viel zu Entdecken auf der Gstett´n.
Diese Flächen in Wien, die Gstett´n haben mich vor gut 25 Jahren zum Thema „Naturfotografie in der Stadt“ geführt. Von den „richtigen“ Naturfotograf:Innen wurde man damals belächelt, wenn man sich auf die fotografische Suche nach Natur in der Stadt machte. Natur- und Landschaftsfotografie wurde zu dieser Zeit meisten mit Reisen in ferne und exotische Ländern assoziert. Vor der eigenen Haustür auf die Suche zu gehen, erschien vielen zu diesem Zeitpunkt seltsam und abwegig.
Perönlich hat es mich fotografisch so gut wie nie aufgrund von Naturfotografie in andere Länder gezogen. Für mich lag der Reiz immer im Blick auf das Nahe, die nähere Umgebung und somit auch auf die Natur in der Stadt.
Naturfotografie führte mich also Anfangs immer in die nähere Umgebung - auch die unterschiedlichsten „naturnahen“ Flächen in Wien hatte dabei eine gewisse Anziehungskraft auf mich. Die Beschäftigung mit dem Thema „Naturfotografie in der Stadt“ mündete ab 2007 auch in mehreren Workshops zu diesem Thema. Ausserdem bescherte mir die Natur in der Stadt auch einen meiner ersten Auftritte, auf der damals noch jungen Photo+Adventure Messe in Wien.
Seit einigen Jahren ist es der Abenteuerspielplatz meiner Kindheit und das damit verknüpfte Projekt „Wienfluss.Erinnerungen“, das auch mein Interesse nach Jahren der Pause an den Gstett´n wieder aktiviert hat. Im letzten Frühjahr und Sommer besuchte ich daher alte mir bekannte und auch neue, bis dato mir unbekannte Brachflächen in Wien
Im Gegensatz zu meiner fotografsichen Anfangszeit haben doch Menschen, die in Städten wohnen, auch Naturfotograf:Innen mittlerweile einen anderen Blick auf verwilderte und naturnahe Flächen in Städten wie Wien entwickelt. Naturfotografie in der Stadt ist mittlerweile salonfähig geworden.
Neben der persönlichen, wieder erwachten Faszination für Gstett´n ist auch der Plan entstanden wieder Workshops in diesem Rahmen in Wien anzubieten. Mit Blick auf meine alten, im Archiv schlummerten Farbaufnahmen dieser Thematik hat sich meine Fotografie in den letzten 10 Jahren aber doch sehr verändert. Persönlich der Natur in der Stadt mittels SchwarzWeiss zu begegnen ist eine neue, spannende und interessante Herausforderung für mich geworden. Die alten Farbaufnahmen sind aus heutiger Sicht für mich irgendwie ein bunter Gegenpol zu heute.
Auch zeigt mir der Rückblick auf ältere Aufnahmen aus dem Bereich, dass wie ich schon so oft selbst bemerken konnte, eine wesentliche Eigenschaft meiner Fotografie die ist, immer wieder zurückzukehren und mit verändertem und neuem Blick, Wissen und Zugang etwas anders zu Sehen.
Ob nun in Form von alten Farbaufnahmen oder durch die in letzter Zeit zu diesem Thema gemachten SchwarzWeiss-Bildern - „Natur findet Stadt“ ist ein Thema, das nun aus meiner fotografischen Jugend seinen Weg ins fotografische Erwachsenenalter gefunden hat.