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Mobilität umdenken

Mitte August läuft mein KlimaTicket aus. Eine Sache die letztes Jahr als eine Art Experiment begann, hat meine Mobilität und mein Verhältnis dazu vollkommen verändert. Mobilität ist ein Thema mit individuellen, auf das eigene Leben abgestimmten Lösungen. Letztendes hat es aber auch damit zu tun, bequeme, eingefahrene und lieb gewonnene Gewohnheiten zu hinterfragen, anzupassen oder eventuell auch aufzugeben.



Österreich ist neben Deutschland DAS Autofahrer-Land.

Lt. Statistik-Austria gab es 2022 rund 5,2 Millionen zugelassene PKW in Österreich. Sieht man sich die Daten von 1960 bis 2022 an, erkennt man, dass Mobilität in Österreich sehr eng mit dem eigenen Fahrzeug verbunden ist. An sonnigen Wochenenden ist das an Autowaschanlagen erkennbar. Autowäsche dürfte neben dem Rasenmähen hierzulande einer der beliebtesten Wochenend-Beschäftigungen sein.

Status-Symbol „Auto“
Als Mann bin ich ein untypischer PKW Nutzer. Ich habe mir noch nie wirklich etwas aus dem österreichischen Status-Symbol „Auto“ gemacht. In Punkto Führerschein war ich Spätzünder. Erst mit fast Mitte zwanzig habe ich es zum österreischichen „must have“ dem rosa Führerschein gebracht.

Die Aussicht auf einen aus heutiger Sicht besonderen Wagen, beschleunigte damals meine schleppenden Führerschein Ambitionen. Ein roter 2CV, eine Ente veränderte ab da meine persönliche Mobilität. Unter all den anderen PKW, die ich bis heute gefahren bin, war dieses Auto das einzige, zudem ich wie viele andere in Österreich eine Beziehung aufbaute.

Eva, die Vorbesitzerin dieses roten Flitzers meinte immer, ein 2CV wäre ein richtiges Auto. Alle anderen PKW seien dagegen schon Luxusgegenstände. Damit hatte sie vollkommen recht. War doch die Ausstattung eines 2CV auf die wirklich wichtigen Dinge reduziert.

Heute würde man das Minimalismus in PKW-Form nennen. In weiterer Folge hatte kein Wagen soviel Charakter wie dieser 2CV für mich.

Meine für das Auto-Land Österreich untypische Beziehung zu den fahrbaren Untersetzen drückte sich in meiner post-2CV Zeit durch die Wahl meiner Autos aus. Kaum einer hatte bei meiner Anschaffung weniger als 160.000km am Tacho. Die Überprüfungs-Plakete, in Österreich bekannt als das „Pickerl“ machte ich meisten nie wirklich zeitgerecht und immer nur sehr unfreiwillig. Ich sah darin nur Gegenstände, die mich von A nach B bringen sollten.

Wertverlust durch Abnutzung war aufgrund der bereits bei meiner Anschaffung in die Jahre gekommen Autos nie ein Thema. Mein Plan war es immer, einen Wagen zu nutzen, solange die Technik und der Gesetzgeber es erlaubten. An einen Wiederverkauf mit so gering wie möglich ausfallenden Wertverlust dachte ich nie.

Soviel zu meiner Vorgeschichte im Bezug auf die in Österreich sehr heilige Kuh - PKW oder wie Hermann Knoflacher auch meinte dem Virus "Auto".

KlimaTicket
Obwohl ich die Diskussionen rund um die Einführung des KlimaTickets 2020/2021 mitbekommen hatte, verschlief ich vollkommen die Einführung am 26.10.2021. Der Preis von knapp tausend Euro war mir damals auch, ohne das ich darüber nachgedacht hatte, viel zu hoch vorgekommen.

Ende Februar 2022 mit dem Überfall von Russland auf die Ukraine änderte sich, wie wir alle wissen im Energie-Sektor so ziemlich alles. Energie, angefangen bei Strom, Gas und auch Treibstoffe für PKW sind bis zum Sommer 2022 ganz ordentlich in die Höhe gegangen. Es gab Zeiten, da lag der Liter Diesel über € 2,-. Ein Preis, der im Autofahrer-Land Österreich grosses Wehklagen hervorrief. Bei meinem damaligen Skoda passten 45 Liter in den Tank. Da waren dann über satte € 90,- beim Volltanken.

Knapp € 92,- kostete das KlimaTicket auf den Monat umgerechnet. Wenn ich alleine meine Fahrten mit dem PKW nach Linz in die Galerie pro Monat rechnete, so bin ich zum damaligen Zeitpunkt in etwa auf die Kosten des KlimaTickets gekommen. Gute 850km im Monat weniger mit dem PKW zu fahren wäre für mich entspannter und für die Umwelt besser. Finanziell hätte ich allerdings noch nichts gewonnen. Lediglich eine Tankladung gegen das Fahren mit den Öffis getauscht.

Würde ich also mit den Öffis und dem KlimaTicket noch andere Orte anstatt mit dem PKW ansteuern, so würde die Kosten-Nutzen-Bilanz sicherlich auch etwas anders aussehen. Auch wenn ich viel über die Nutzung des KlimaTickets als Ergänzung zur vorhandenen Mobilität mit dem PKW nachdachte und nachrechnete, so bin ich dann letztendlich zu dem Entschluss gekommen es einfach auszuprobieren. Soweit es ginge wollte ich ab dann die Fahrten nach Linz mit den Öffis absolvieren und den PKW nur mehr dann verwenden, wenn es absolut nicht anders möglich war.

Ende Juli 2022 holte ich mir dann das KlimaTicket.

Sitzen, Sitzen, Sitzen
Als ich vor zehn Jahren meinen Lebensmittelpunkt nach Oberösterreich verlagerte wurde aus dem Öffis-Nutzer aus Wien, quasi über Nacht ein Mensch der seine Mobiliät ausschliesslich über die Nutzung eines PKW definierte. Die immer wieder gehörte Phrase „ohne PKW geht es einfach nicht“ wurde schnell und ohne viel darüber nachzudenken verinnerlicht.

In den letzten zehn Jahren habe ich es auf gut 162.000km mit meinen fahrbaren Untersetzen gebracht. Verteilt auf einen alten Mazda, VW und zwei alte Skodas. So über den Daumen gepeilt braucht man im Schnitt für 100km mit dem PKW in Österreich in etwa eine Stunde. Somit hatte ich es in den letzten 10 Jahren, auf fast siebzig Tage gebracht, die ich sitzend im Auto verbrachte. Siebzig Tage an denen ich meistens mit lebensgefährlicher Geschwindigkeit am Steuer eines PKW unterwegs war. Mehr als zwei Monate meines Lebens konnte ich während ich das Lenkrad festhielt nur Radio hören, mich mit Mitfahrenden unterhalten oder durch die Windschutzscheibe auf die Strasse starren.

Ich weiss in der Bahn, im Bus und in der Bim sitzt man ja meistens auch. Da stimmt natürlich.

Doch als Fahrer eines PKW ist man in seinen Handlungen doch sehr eingeschränkt. Lesen geht mal nicht, schreiben auch nicht. Telefonieren ist möglich, aber auch gefährlich. Irgendetwas aus dem Radio zu hören, geht da schon wieder eher. Die kurzweiligste Sache beim Fahren im PKW sind immer noch Unterhaltungen mit den Beifahrern.

Mobilität ist individuell und persönlich. Lesen und Schreiben sind für mich persönlich sehr wichtige Dinge. Genau diese Dinge konnte ich als Fahrer eines PKW schon gar nicht tun, als Beifahrer aber auch nicht. Seit meiner Kindheit wird mir sehr leicht schlecht als Beifahrer im Auto. Lesen und Schreiben war für mich daher als Beifahrer immer unmöglich gewesen.

Somit schätze ich es sehr, dass ich beim Fahren mit dem Zug diese Dinge tun kann, auch wenn ich dabei natürlich wieder sitze.

Wie ich feststellte, wenn man Öffis nutzt, ist man auch wieder mehr zu Fuss unterwegs. Dort wo ich lebe, geht man schon mal leicht 8 - 15min um zur nächsten Busstation zu gelangen. Das ist Bewegung, die ich als Fahrer eines PKW definitiv nicht machen würde.

10.000 Kilometer Mobilität ohne PKW
Lt. Statistik fährt der durchschnittliche PKW Besitzer in Österreich knapp 13.000km im Jahr. In meinem Fall sind es nun 10.000km, die ich NICHT mit dem PKW gefahren bin, kein schlechtes Ergebnis finde ich. Das ich auf diese Kilometerleistung mit Öffis innerhalb von 12 Monaten kommen würde, hätte ich definitiv nicht gedacht.

Seit dem letzten Sommer ist die Nutzung meines PKW bis zum heurigen Frühjahrsbeginn, stetig aber sicher immer weniger geworden. In meinem Fahrtenbuch findet man den letzten Eintrag von Mitte April dieses Jahres.

Kein PKW
Ist die Überprüfungsplakette wieder mal „überfällig“ und verliert der rechte Vorderreifen leicht Druck bei einem 20 Jahre alten PKW so muss man kein Hellseher sein, dass die Pickerl/Reparaturkosten doch eine gewisse Höhe erreichen werden. Wenn ich dann mein verändertes Verhalten in Sachen Mobilität bedenke, dann ist es nicht weiter verwunderlich an eine Ausweitung, des mit dem KlimaTicket begonnen Experiments zu denken.

Das Experiment ohne eigenen PKW auszukommen.

Für einige Menschen ist das mittlerweile durchaus zur Normalität geworden. Gerade in größeren Städten kommt man sehr gut ohne eigenen Wagen aus. Für andere wiederum, vor allem für die Bevölkerung am Land ist es in sehr vielen immer noch unvorstellbar ohne eigenen PKW auszukommen. Mobilität ist individuell, aber muss man auch zugeben, sehr von unseren Bequemlichkeiten und Gewohnheiten gesteuert.

Doch trotz des KlimaTickets wird hin und wieder die Nutzung eines PKW notwendig sein. Das Zauberwort für mich, ist in diesem Fall CarSharing via TIM in Linz. Wie auch beim Experiment KlimaTicket bin ich zu dem Entschluss gekommen, das Experiment ohne eigenen PKW einfach zu wagen.

Keine Versicherungskosten, keine Autobahn-Vignette und nicht mehr an die Erhaltung, Reparaturen und das alljährliche Pickerl denken zu müssen ist für mich, da ich in keinster Weise Autobegeistert bin ein interessanter Gedanke

KlimaTicket und CarSharing zeigen mir einen Weg auf, die jährlichen Kosten meiner Mobilität auch zu senken. Zumal ja im Haushalt noch ein anderer PKW weiterhin auch zur Verfügung stehen kann. Um die Kosten für dessen Mitnutzung auch realistisch abzubilden, werde ich hier mit dem amtlichen Kilometergeld arbeiten. Quasi CarSharing im eigenen Haushalt.

Das Experiment ist gestartet. Der eigene PKW ist abgemeldet.

Eine andere Form von Lebensqualität
Beim Schreiben dieses Textes sitze ich unter anderem im Zug nach Graz. Dabei schaue ich hin und wieder, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen aus dem Zug-Fenster und betrachte die gerade vorbeiziehende Landschaft. Wäre ich mit dem PKW unterwegs, dann hätte ich gerade den Bosruck-Tunnel hinter mir gelassen und würde weiter auf der A9 in Richtung Graz sausen. Dabei wäre ich auf die Strasse und auf die anderen Verkehrsteilnehmer:Innen fokussiert und darauf bedacht keine Fehler zu machen.

Stattdessen sitze ich im Zug, kann jederzeit die Augen schliessen um Nachzudenken und an einem Text schreiben, der mein verändertes Mobilitäts-Verhalten reflektiert. Wäre ich auf der Autobahn unterwegs, dann hätten die letzten 100km bereits meine gedanklichen Notizen und Ideen buchstäblich überfahren und damit ausradiert.

Ich sitze im Zug, bin entspannt, trinke eine frischen Espresso und bin kreativ.

Manchen wird nun durch den Kopf gehen, dass wenn man mit Öffis unterwegs ist, man mehr Zeit benötigt um von A nach B zu kommen. Das ist richtig.

Mache ich mich mit den Öffis von daheim auf den Weg nach Linz in die Galerie, dann bin ich gute 50min unterwegs. Fahre ich mit dem Auto in die Stadt, suche mir einen Parkplatz in einer Zone in der keine Parkgebühren fällig sind und gehe dann von dort aus zur Galerie, bin ich gute 40min unterwegs.

Geht man bei beiden Möglichkeiten vom Normalfall aus, also weder Stau auf der Strasse, noch Verspätungen bei den Öffis dann ist der zeitliche Unterschied eigentlich irrelevant.

Natürlich gilt das nur für meine persönlich Situation.

Aber mittlerweile bin ich gerne bereit, etwas mehr Zeit für meine Wege zu brauchen. Es ist entspannter, ungefährlicher, menschlicher, gesünder, besser für unsere Umwelt und wenn ich meine heurigen Mobilitätskosten betrachte auch günstiger.

Einen PKW in der nächsten Zeit nur mehr wirklich dann zu nutzen, wenn es wirklich notwendig ist, sehe ich als Erleichterung und als neu gewonnene, persönliche Freiheit. Nicht mehr an die Erhaltung und die damit verbunden Sorgen denken zu müssen, schafft in meinem Kopf Freiraum.

Heuer, 2023 ist das halbe Jahr so gut wie um. Am Ende dieses Jahres werde ich im Vergleich zum vergangenen Jahr 2022 sehen, wohin mich das Experiment KlimaTicket in Kombination mit CarSharing gebracht hat.


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